Nachdem ich Giora Feidman in den 90er Jahren bei zahlreichen Workshops in Deutschland assistiert hatte, rief er mich 2001 an: „Ich möchte Klezzmermusik nach Israel bringen, Helmut. Du musst mir helfen.“ Bei meinen vorherigen beiden Reisen nach Safed hatte ich schon mitbekommen, dass Klezmer in Israel zu dieser Zeit eher eine Ausnahmeerscheinung war – klar sagte ich Giora zu. Was folgte, waren 15 Sommer mit ca. 10-tägigen Seminaren, zunächst in Safed, dieser wunderschönen Stadt am Fuß der Golan-Höhen, die im Mittelalter Hochburg der Kabbalisten war (und heute aus diesem Grund regelmäßig von Madonna besucht wird), später in Jerusalem.
Als stolzer junger Staat ist Israel 1948 auf der kulturellen Basis der hebräischen Sprache gegründet worden. Die mit dem osteuropäischen Stetl verbundene Sprache Jiddisch ist auch heute dort nur marginal vertreten. Klezmorim sind für viele Juden fest mit dem Jiddischen verbunden, deshalb galt ihre Musik in Israel als zwar notwendige, aber letztlich billige Musik ungelernter Musiker. Erste Versuche von Musikern des amerikanischen Klezmer-Revivals, ihren Stellenwert zu stärken, waren fehlgeschlagen. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie Joel Rubin 1993 bei einem Seminar versuchte, anhand der Triller- und Verzierungstechniken zu beweisen, dass Klezmer eine Kunstform ist.
Gioras Kli-Zemer-Ideen, die sich genauso gut auf Tango wie auf Klassik anwenden ließen, und meine Erweiterungen dieses Gedankenguts in Richtung Improvisation gaben Studenten aller Musikrichtungen die Möglichkeit, Altvertrautes aus der eigenen kulturellen Vergangenheit neu schätzen und lieben zu lernen. Nie vergessen werde ich eine Situation bei einer Masterclass, die ich für hochtalentierte israelische Jazzstudenten gab: ich bat den Schlagzeuger, doch im B-Teil keinen Swing, sondern eben diesen Rhythmus zu spielen, den wir „Freilach“ nennen. Ich spielte ihm den Rhythmus vor, den Namen sagte ich aber nicht dazu. Nach kurzer Zeit brach er ab und fragte mich ganz erstaunt: „Das passt wunderbar in das Stück! Aber kann es sein, dass das etwas von uns ist, etwas jüdisches?“ Oh ja, das kann sehr wohl sein!
Sicher das wichtigste Ereignis für mich in diesen 15 Jahren: Im Jahr 2007 fanden das Seminar und das damit verbundene Festival noch in Safed statt, aber man bat uns, ein Konzert mit den Teilnehmern in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem (Jerusalem) zu spielen, vor Holocaust-Überlebenden. Im Auftrag Giora Feidmans schrieb ich dafür das Stück „Phönix“ für zwei Klarinetten und Streichorchester, das wir mit den Jerusalem Strings, Giora als jüdischem und mir als nichtjüdischem Klezmer aufführten. Nach der Uraufführung stand dann plötzlich ein sehr alter Mann vor mir, reichte mir die Hand und sagte: „Dass du als Deutscher hierher kommst und für mich Musik machst, das macht für mich die Welt wieder etwas besser!“ Dieses Stück bildet den Kern meines Bassettklarinettenkonzerts, das auf der CD „Rhapspdy for an Unknowm Klezmer – Talking Clarinet meets Orchestra“ zu finden ist.
Wir hatten fantastische Musiker in diesen Seminaren, sowohl als Dozenten (z.B. Eddie Daniels, Philippe Cuper, Jozsef Balogh) als auch als teilnehmende "Studenten" (z.B. Avi Avital, Moran Katz, David Orlowsky) und ich bin sehr sicher, dass viele – vor allem junge - Musiker in Israel von unserer Arbeit profitieren und unsere Kompositionen und Ideen weitertragen.
Nachdem ich Giora Feidman in den 90er Jahren bei zahlreichen Workshops in Deutschland assistiert hatte, rief er mich 2001 an: „Ich möchte Klezzmermusik nach Israel bringen, Helmut. Du musst mir helfen.“ Bei meinen vorherigen beiden Reisen nach Safed hatte ich schon mitbekommen, dass Klezmer in Israel zu dieser Zeit eher eine Ausnahmeerscheinung war – klar sagte ich Giora zu. Was folgte, waren 15 Sommer mit ca. 10-tägigen Seminaren, zunächst in Safed, dieser wunderschönen Stadt am Fuß der Golan-Höhen, die im Mittelalter Hochburg der Kabbalisten war (und heute aus diesem Grund regelmäßig von Madonna besucht wird), später in Jerusalem.
Inzwischen wurden Seminar und Festival vollständig in die Großstadt Jerusalem verlegt – und damit gingen leider auch sehr viel von seinem Charme und seiner Intimität verloren. Mehr und mehr wurden die Konzerte zu Großevents mit Popcharakter. Leise Töne waren und sind dabei nicht mehr sonderlich gefragt. Giora Feidman ist seit 2014 nicht mehr dabei. Inzwischen kommen auch sehr viele religiöse Teilnehmer, denen es wieder viel mehr um den Einsatz dieser Musik in Gottesdiensten geht als um die Übertragbarkeit des Klezmer-Gedankenguts auf andere Musikrichtungen.
Konsequenterweise wurde das Dozententeam für 2018 erstmal komplett ausgetauscht. Wie und ob es danach weitergeht, werden wir sehen.
Wir bleiben in Verbindung! Mit dem organisatorischen Leiter Hanan Bar-Sela, der einer der wichtigsten Klarinettisten der "Music of the Jewish Soul" in Israel ist, bin ich nach wie vor gut befreundet – er wird im März 2018 mehrere Konzerte mit Sebastian Voltz und mir in Deutschland spielen, und im Juni 2018 spiele ich mit ihm und seiner Band in Jerusalem und Petah Tikva.
© 2024 Helmut Eisel & Andi Buchner